Normalerweise haben sich im Zivilrecht die Parteien in freier, privatautonomer Vereinbarung über alle wesentlichen Punkte zu einigen bevor ein bindender Vertrag überhaupt zustandekommt, § 154 Abs. 1 BGB. Dazu zählen grundsätzlich der Liefergegenstand einschließlich der Menge bei Gattungssachen und der Preis. Durchaus möglich ist, eine sukzessive Lieferung zu vereinbaren, auch eine Lieferung auf Abruf. Normalerweise steht aber jedenfalls eine Mindestmenge, bisweilen auch eine Höchstmenge fest. Beides ist für den Lieferanten normalerweise vertragswesentlich.
Liefergegenstand ist beim Energie- und Wasserlieferungsvertrag die Lieferung von Strom, Erdgas, Wasser oder Fernwärme.
Normalerweise gehört zu den wesentlichen Punkten bei Gattungssachen auch die Liefermenge. Eine Besonderheit liegt beim Energie- und Wasserlieferungsvertrag allerdings darin, dass regelmäßig – von Ausnahmen im Industriebereich abgesehen – keine bestimmte Abnahmemenge für die Vertragslaufzeit vereinbart wird. Sie kann somit zwischen null und unendlich liegen. Diese untypische Konstellation hat das Reichsgericht veranlasst, den Energielieferungsvertrag als Wiederkehrschuldverhältnis anzusehen. Dieser überzeugenden und nach Auffassung des Autors heute im liberalisierten Energiemarkt nach der Entflechtung von Lieferanten und Netzbetreibern erst recht zutreffenden rechtlichen Einordnung des Energie- und Wasserlieferungsvertrages durch das Reichsgericht folgt der Bundesgerichtshof jedoch nicht. Eine detaillierte Darlegung zu diesem Punkt finden Sie im Abschnitt Rechtsnatur des Energie- und Wasserlieferungsvertrages.
Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Energielieferungsvertrag
- ein einheitliches Schuldverhältnis, und zwar ein
- Kaufvertrag
- in der Gestalt eines Sukzessivlieferungsvertrags
- sowie ein Dauerschuldverhältnis.
Im Hinblick auf die gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen die Rechtsanwender somit damit leben, es beim Energielieferungsvertrag mit einem atypischen Kaufvertrag zu tun zu haben, bei dem sich die Parteien weder über die Liefermenge noch über die Lieferzeitpunkte geeinigt haben, wobei die Liefermenge im Extremfall sogar bei null liegen kann.
Bei einem Dauerschuldverhältnis gehört zu einer Einigung über alle wesentlichen Punkte nach § 154 Abs. 1 BGB auch die Vertragsdauer und die Kündigungsfrist. Hier ist zunächst an drei Gestaltungsvarianten zu denken, welche den gesetzlichen Grundgedanken des BGH entsprechen:
- Energielieferungsvertrag mit einer unbestimmten Laufzeit und der Möglichkeit, diesen jederzeit zu kündigen.
- Energielieferungsvertrag mit einer festen Laufzeit ohne Möglichkeit der ordentlichen Kündigung (und ohne automatische Verlängerung).
- Energielieferungsvertrag mit einer festen Laufzeit ohne Möglichkeit der ordentlichen Kündigung und mit stillschweigender Verlängerung.
Dann gelten alle Vertragsbedingungen einschließlich des Preises so lange bis eine der Parteien den Vertrag kündigt (Fall 1) bzw. fix für die vereinbarte Laufzeit (Fall 2), und ggf. darüber hinaus in der Verlängerungszeit (Fall 3). Fall 1 entspricht zusätzlich auch dem Grundgedanken von StromGVV/GasGVV. Die Fälle 1 und 2 weichen von § 20 StromGVV/GasGVV ab, dies ist aber bei einem Sondervertrag zulässig.
Gegenüber Verbrauchern ist dabei AGB-rechtlich folgendes zu beachten:
- Fall 1: Die Kündigungsfrist darf höchsten drei Monate betragen, § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB.
- Fall 2 und 3: Die feste (Erst-)Laufzeit darf höchstens zwei Jahre betragen, § 309 Nr. 9 lit. a BGB.
- Fall 3: Die Verlängerungszeit darf höchstens ein Jahr betragen, § 309 Nr. 9 lit. b BGB.
- Fall 3: Die Kündigungsfrist darf sowohl zum Ablauf der Erstlaufzeit wie zum Ablauf einer Verlängerungszeit höchsten drei Monate betragen, § 309 Nr. 9 lit. c BGB.
Während sich die Verbote des § 309 BGB direkt aus dem Gesetz ergeben und keiner weiteren Erklärung bedürfen, ist der Fall eines Vertrages mit unbestimmter Laufzeit, was die Kündigungsfrist betrifft, im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Man könnte somit auf die Idee kommen, einen Vertrag auf unbestimmte Zeit mit einer sehr langen Kündigungsfrist zu vereinbaren. Im Rahmen der Parteiautonomie wäre eine solche Gestaltung durchaus möglich. Lediglich für Mietverträge setzt § 544 BGB eine Grenze von 30 Jahren.
Allerdings sind hier zwei gesetzliche Leitbilder zu beachten:
- Nach § 20 StromGVV/GasGVV kann das Grundversorgungsverhältnis mit einer sehr kurzen Frist von vierzehn Tagen gekündigt werden.
- Nach § 309 Nr. 9 lit. c BGB darf im falle von festen Laufzeiten die Kündigungsfrist höchsten drei Monate betragen.
Es spricht deshalb vieles dafür, bei Verbrauchern Kündigungsfristen von mehr als drei Monaten generell als unangemessene Benachteilung i.S.d. § 307 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 BGB anzusehen.
Gegenüber Unternehmern gibt es diese Grenzen nicht. Genauso wie ein Unternehmer nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs [1] – anders als ein Verbraucher [2] – weiß, was er tut. wenn er sich auf einen HEL-gebundenen Gaspreis einlässt, weiß er, was er tut, wenn er sich auf lange Laufzeiten oder Kündigungsfristen einlässt. Der BGH hat in den zitierten Entscheidungen § 310 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BGB die ihm gebührende Bedeutung zugemessen. Zwar nimmt § 310 BGB den § 307 BGB im unternehmerischen Verkehr nicht vollständig aus – was de lege ferenda durchaus angezeigt wäre – jedoch lässt § 310 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BGB dem Richter die Möglichkeit, im unternehmerischen Verkehr bei gleichem Sachverhalt zu einem anderen Ergebnis zu gelangen als im Verkehr mit Verbrauchern. Im Sinn des – leider schon stark durchlöcherten – Prinzips der Privatautonomie ist es zu begrüßen, wenn der BGH davon Gebrauch macht. Es steht deshalb zu erwarten, dass der VIII. Zivilsenat zwar einerseits eine Kündigungsfrist von mehr als drei Monaten gegenüber Verbrauchern als unwirksam erachten wird, bei einem Unternehmer jedoch auch eine sehr lange Kündigungsfrist nicht beanstanden wird.
Die Gestaltungen »unbestimmte Laufzeit« und »feste Laufzeit ohne Kündigungsmöglichkeit« erfreuen sich allerdings in den Vertriebsabteilungen der Lieferanten nicht einer sonderlichen Beliebtheit. Man ist dort bestrebt, den Kunden möglichst zu binden, handelt sich dafür aber das Problem ein, dass der Vertrag aus wirtschaftlichen Gründen über eine wirksame Preisanpassungklausel verfügen muss. Diese zu formulieren, ist nicht so einfach und verlässlich rechtssicher letztlich nicht möglich (dazu eingehend nachstehend im Abschnitt »Preisanpassungsklauseln in der Energieversorgung«. Während man dies bei Lieferanten, welche nicht Grundversorger sind, noch nachvollziehen kann, ist dies bei Grundversorgern nicht nachvollziehbar. Läuft bei diesen ein Sondervertrag aus (sie es nach der festen Laufzeit, sei es nach Kündigung) und unternimmt der Letztverbraucher nichts, dann kommt er in die Grundversorgung.
Nach Auffassung des Autors würde es sich durchaus lohnen wenn sich Lieferanten über folgende – rechtssichere und dem BGB am nächsten stehende – Gestaltung ernsthafte Gedanken machen würden:
- Energielieferungsvertrag mit einer unbestimmten Laufzeit und der Möglichkeit, diesen jederzeit mit einer Frist von maximal drei Monaten zu kündigen.
- Sobald der Vertrag nicht mehr auskömmlich ist, erfolgt statt eines Preisanpassungsschreibens eine Änderungskündigung, d.h. die Kündigung des bisherigen Vertrages und das gleichzeitige Angebot eines neuen Vertrages.
Der neue Vertrag kann allerdings im Grundsatz (siehe aber nachstehend) nicht durch Schweigen des Kunden zustandekommen, es muss eine ausdrückliche Vertragsanahme erfolgen, der bloße Weiterbezug von Energie genügt hierzu nicht. Hier müsste also ggf. beim Kunden nachgefasst werden, wenn keine Reaktion erfolgt. Allerdings wird man dem Kunden in der Änderungskündigung klarmachen können, dass er aktiv werden muss, weil er ansonsten in die teure Grundversorgung fallen wird. Auch wird man ihm eine Vertragsannahme durch eine vorbereitete Erklärung erleichtern können, wobei ihm bis hin zum elektronischen Geschäftsverkehr nach §§ 312i f. BGB verschiedene – auch moderne und sehr bequeme – Möglichkeiten der Vertragsannahme eröffnet werden können. Da es keine Formvorschriften für den Abschluss eines Energielieferungsvertrages gibt, könnte er auch mittels eine Smartphone-App abgeschlossen werden, wenn die Anforderungen der §§ 312i f. BGB beachtet werden.
Bei der Bemessung der Kündigungsfrist ist im Übrigen noch zu bedenken, dass diese für beide Parteien gilt. Sie darf auch deshalb nicht zu lang sein, damit der Lieferant einigermaßen zeitnah auf sich verändernde Marktverhältnisse reagieren kann.
[Eingefügt am 10.07.2016]Allerdings ist es möglich, durch entsprechende Vereinbarungen im Sondervertrag durch folgende Klausel Schweigen als Zustimmung zu definieren:
Sofern SWX im Wege der Änderungskündigung die Bedingungen dieses Vertrages zu ändern beabsichtigt, wird sie die Änderungskündigung und die neuen Bedingungen dem KUNDEN mit einer Frist von mindestens 6 Wochen [3] vor dem in der Änderungskündigung datumsmäßig anzugebenden Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Änderungskündigung in Textform mitteilen. Widerspricht der Kunde nicht, so treten die geänderten Bedingungen ab dem in der Änderungskündigung genannten Zeitpunkt in Kraft und der Vertrag wird zu den neuen Bedingungen fortgesetzt. Der Widerspruch des KUNDEN hat in Textform zu erfolgen. SWX ist verpflichtet, den KUNDEN in der schriftlichen Mitteilung auf die Bedeutung seines Schweigens hinzuweisen. [4] Widerspricht der KUNDE den geänderten Bedingungen, so endet dieser Vertrag zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung.
Nachdem unter „Bedingungen“ auch die Preise zu verstehen sind, wäre eine solche Änderungskündigung auch möglich um eine – rechtssichere – Preisanpassung zu erreichen. Das Risiko besteht natürlich darin, dass der Kunde widerspricht und für das Unternehmen damit verloren ist.
Der anfängliche Preis – auch der Preis für einen neuen Vertrag nach Änderungskündigung ist ein solcher – wird bei Strom, Gas und Fernwärme [5] zwischen den Parteien frei ausgehandelt. Der Anfangspreis unterliegt keinerlei behördlicher oder richterlicher Kontrolle. Bei Wasser ist erfolgt hingegen wegen der Monopolsituation auch eine Kontrolle des Ausgangspreises.
Die Bestimmung des § 29 GWB, welche eine kartellrechtliche Kontrolle auch anfänglicher Strom- und Gaspreise ermöglicht, kann man in ihrer praktischen Bedeutung vernachlässigen. Abgesehen davon, dass es sich kaum noch begründen lässt, dass es noch Strom- und Gaslieferanten gibt, die eine marktbeherrschende Stellung innehaben, [6] , Anm. Brändle in VersorgW 2015, 81 = DokNr. 15003420. ist die Bestimmung dadurch gekennzeichnet, dass zwar sehr viel darüber geschrieben wird [7] aber keine einzige Gerichtsentscheidung bekannt ist, in welcher diese Bestimmung jemals zur Anwendung gelangte. Die Monopolkommission hat die Bestimmung zurecht kritisiert. [8] Zitat aus der Zusammenfassung des Sondergutachtens 63 vom 01.12.2012: »Die Vorschrift des § 29 GWB … sollte in ihrer Geltung nicht verlängert werden, da sie die Entwicklung echten und wirksamen Wettbewerbs behindert.« Der Gesetzgeber der 8. GWB-Novelle [9] hat das ignoriert und die Bestimmung gleichwohl verlängert.