In der besprochenen Konstellation wären eigentlich die ggf. vorhandenen weiteren Bewohner der Wohnung des flüchtigen Kunden und vor allem auch eventuelle Mieter des flüchtigen Kunden schutzbedürftig. Bezüglich ggf. vorhandener weiterer Bewohner der Wohnung des flüchtigen Kunden ließe sich gut begründen, dass mit diesen ein Grundversorgungsvertrag § 2 Abs. 2 StromGVV/GasGVV zustande kommt. Hier erscheint es angeraten zu sein, den verbleibenden Bewohnern seitens des Grundversorgers ein »Begrüßungsschreiben« nach § 2 Abs. 1 Satz 2 StromGVV/GasGVV zukommen zu lassen um wenigstens ab diesem Zeitpunkt wieder einen erreichbaren Vertragspartner zu haben. Ist der Grundversorger nicht Vertragspartner des flüchtigen Kunden wird er sich ohnehin spätestens nach der Abmeldung der Lieferstelle durch den bisherigen Lieferanten Gedanken über die Entnahmestelle machen müssen. Das bedeutet allerdings nicht, dass sich ein Drittlieferant des Problems dadurch entheben kann, dass er trotz eines bestehenden und nicht wirksamen gekündigten Liefervertrages die Lieferstelle einfach abmeldet und das Problem beim Grundversorger ablädt. Eine wirksame Kündigung des Liefervertrages erfordert, wie bereits erwähnt, deren Zugang – notfalls im Wege der öffentlichen Zustellung.
Kritischer ist der Fall, dass der flüchtige Kunde Eigentümer und Vermieter von Wohnungen ist. Rechtlich genießen diese Mieter keinerlei Schutz. Selbstverständlich haben die Mieter gegen ihren Vermieter [35] einen mietrechtlichen Anspruch darauf, dass der Vermieter die Wohnungen beheizt und für die Belieferung mit Wasser sorgt. Es bestehen jedoch keinerlei Ansprüche der Mieter gegen den Lieferanten, wenn der Liefervertrag zwischen Vermieter und Lieferant abgeschlossen wurde, wobei immer die genauen Einzelumstände zu betrachten und die Frage zu beantworten, mit wem der Vertrag besteht, falls kein ausdrücklicher abgeschlossen wurde. Beim vermieteten Einfamilienhaus richtet sich beispielsweise die Realofferte des Grundversorgers typischerweise an den Mieter und nicht an den Vermieter. Empfänger der im Leistungsangebot des Versorgungsunternehmens liegenden Realofferte zum Abschluss eines Versorgungsvertrags ist nämlich derjenige, der die tatsächliche Verfügungsgewalt über die Entnahmestelle ausübt. [36] Bei Mehrfamilienhäusern ist die typischerweise der Vermieter. Ein Blick auf andere Fallkonstellationen zeigt, dass die Rechtsverhältnisse zwischen Vermieter und Mieter einerseits sowie zwischen Lieferant und seinem Vertragspartner andererseits nichts miteinander zu tun haben: Weder darf der Vermieter während des laufenden Mietverhältnisses zur Durchsetzung seiner mietvertraglichen Ansprüche seine Leistung aus der Verpflichtung zur Versorgung mit Wärme, Energie und Wasser zurückhalten [37] noch stellt der Stromlieferungsvertrag zwischen dem Mieter und dem Stromlieferanten einen Vertrag zu Gunsten Dritter oder einen Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte (hier: den Vermieter) dar. [38] Ebenso wenig stellt der Gas- und Wasserlieferungsvertrag zwischen Lieferant und Vermieter einen Vertrag zu Gunsten Dritter oder einen Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte (hier: den Mieter) dar. Nach der zutreffenden Auffassung des LG Frankfurt [39] ist die Zurückbehaltung der Wasserversorgung eines Mehrfamilienmietshauses durch ein Wasserversorgungsunternehmen wegen Zahlungsverzuges des Vermieters und Vertragspartners des Wasserliefervertrages kein Eingriff in den geschützten Besitzbereich der Mieter. Die zur Nutzung eines Grundstücks erforderliche Belieferung mit Strom und Wasser ist in der Tat nicht Bestandteil des Besitzes und kann schon deshalb nicht Gegenstand des Besitzschutzes gem. §§ 858 ff. BGB sein. [40] Ein Lieferanspruch oder Anspruch der Mieter des betroffenen Hauses auf Unterlassen der Liefersperre könne, so das LG Frankfurt weiter, weder mit verbotener Eigenmacht noch mit den Auswirkungen der Sperre auf die Mieter begründet werden. Zutreffend weist das LG Frankfurt darauf hin, dass Mieter auch keine Öllieferung eines privaten Anbieters erzwingen können, wenn es um die Beheizung der Wohnung geht. Das LG Frankfurt geht sogar so weit, es nicht als missbräuchlich anzusehen, wenn sich der Wasserversorger weigert, mit den Mietern Einzelverträge abzuschließen, solange diese nicht bereit sind, die Rückstände zu bezahlen. In der Tat sieht der Verordnungsgeber in § 19 Abs. 2 Satz 2 StromGVV/GasGVV die Aussicht auf eine Nachzahlung als notwendig für Verpflichtung zur Weiterbelieferung an, worauf das AG Neuruppin [41] hinweist. Mietshäuser und die üblichen Mietvertragsgestaltungen seien dem Verordnungsgeber (hier noch des § 33 Abs. 2 AVBEltV/AVBGasV) schließlich bekannt gewesen. Gleichwohl habe er nicht davon abgesehen, die hinreichende Aussicht einer Nachzahlung als weiteres notwendiges Merkmal für die Begründung der Verpflichtung zur Weiterbelieferung vorzusehen. Dem LG Frankfurt und dem AG Neuruppin dürfte allerdings in der Frage der Nachzahlung nicht zu folgen sein. Grundversorger und Wasserversorger unterliegen einem Kontrahierungszwang und dürfen den Vertragsabschluss nicht davon abhängig machen, dass zuvor die Verbindlichkeiten eines Dritten, auch nicht die des flüchtigen Vermieters, beglichen werden. Richtig ist aber, dass die Versorgung ohne Rücksicht auf die Mieter unterbrochen werden darf, wenn die Voraussetzungen hierfür gegenüber dem Vertragspartner, also gegenüber dem Vermieter, gegeben sind – allerdings mit der gebotenen Einschränkung, dass die Unterbrechung wieder aufzuheben ist oder von vornherein zu unterbleiben hat, wenn die Mieter Einzelverträge abschließen.
Bei der Lieferung von Gas und Wasser an Mehrfamilienhäuser ist es allerdings gar nicht möglich, mit jedem Mieter einen Einzelvertrag abzuschließen, da nicht jeder Mieter seinen eigenen Entnahmepunkt hat. Hier könnten die Mieter aber ebenfalls Abhilfe schaffen, wenn sie gesamtschuldnerisch einen Liefervertrag abschließen. Die interne Aufteilung ist dann alleine Sache der Mieter untereinander. Der Lieferant kann sich bei gesamtschuldnerischer Haftung aussuchen, welchen der Mieter er auf Zahlung verklagt, falls diese nicht erfolgt; er kann natürlich auch sämtliche Mieter verklagen.
Es ist auch nicht etwa verfassungsrechtlich geboten, Mieter mit Energie zu versorgen. Die Liefersperre ist nämlich nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts [42] die zur Ausübung des Zurückbehaltungsrechts des § 273 BGB a.F. (jetzt: § 321 BGB) notwendige Maßnahme und stelle keine nach Art. 92 GG ausdrücklich den Richtern vorbehaltene Ausübung rechtsprechender Gewalt dar. Aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) könne zwar folgen, dass der Staat im Einzelfall zu Leistungen an den Bürger verpflichtet ist. Aus ihm könne aber ein Anspruch auf uneingeschränkte Lieferung von Strom nicht hergeleitet werden. Vielmehr seien die entsprechend dem Sozialstaatsprinzip im Bedarfsfalle vom Staat gewährten Leistungen und Hilfen für die Erfüllung der finanziellen Verpflichtungen aus dem Energielieferungsvertrag einzusetzen.
Wie schon dargelegt, ist die öffentliche Zustellung von »Androhung« und »Ankündigung« an den flüchtigen Kunden entbehrlich. Es ist aber nicht entbehrlich, den Mietern gegenüber die Versorgungsunterbrechung anzukündigen. [43] Dies geschieht durch Einwurf einer entsprechenden Bekanntmachung in die Briefkästen und durch Aushang im Hausflur oder notfalls durch Aushang an den Haustüren. Ein Muster für eine solche Bekanntmachung finden Sie hier. Die jeweiligen Fristen der Unterbrechungsvorschriften sind hierbei einzuhalten. Den Mietern muss notwendigerweise offen gelegt werden, dass der Vermieter flüchtig ist (zumal die Mieter dies vermutlich ohnehin bereits wissen) und dass Zahlungsrückstände angelaufen sind, welche zur Versorgungsunterbrechung berechtigen. Nach der hier vertretenen Auffassung ist den Mietern anheimzustellen, einen Energielieferungsvertrag selbst abzuschließen und hierbei die gesamtschuldnerische Haftung sämtlicher Mieter zu übernehmen. Es ist eine taktische Frage, ob sich der Lieferant damit zufrieden gibt, wenn nicht alle Mieter unterschreiben. Die wäre wirtschaftlich für den Lieferanten dann ausreichend, wenn auch nur ein Vertragspartner solvent genug ist, die Gesamtverpflichtung zu erfüllen. Mietern wäre zu raten, den Vertragsabschluss unter die Bedingung zu stellen, dass alle Mieter dem Vertrag zustimmen, weil der Gesamtschuldnerausgleich (§ 426 BGB) nur unter den Gesamtschuldnern stattfindet. Dem Lieferanten kann dies aber gleichgültig sein und er ist auch nicht verpflichtet, über diesen Umstand zu belehren.