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Titel: Anspruchssicherung und -durchsetzung
Rechtsstand: 01.01.2015

Anspruchssicherung und -durchsetzung

Dieses Kapitel wird im Zuge der fortlaufenden Bearbeitung dieses Werkes noch weiter ergänzt werden. Bei eingen Abschnitten sind derzeit noch nur die Überschriften vorhanden.

In diesem Kapitel werden alle Fragen zusammengefasst, welche mit der Durchsetzung von Ansprüchen zu tun haben. Es geht dabei insbesondere um

Auch Fragen des Umgangs mit der Insolvenz des Vertragspartners werden hier behandelt.

Abschließend wird unter dem Titel »Der Kunde auf der Flucht« die Frage behandelt, was tun ist bzw, getan werden kann, wenn der Kunde nicht mehr erreichbar ist.

Ergänzend sei noch auf den Abschnitt Verfahrensrecht im Einführungskapiel hingewiesen, der einige grundlegende Hinweise zum verfahrensrecht enthält, insbesondere auch zur Frage der zur Verfügung stehenden Beweismittel.

Vorbeugende Forderungssicherung (Vorauszahlung, Sicherheitsleistung)

Mahnwesen

Verbraucherbeschwerden und Schlichtungsstelle, §§ 111a - 111c EnWG

Rechtsweg in Energiesachen

Hier soll zunächst im Überblick dargestellt werden, welche Rechtswege es in

  • Allgemeinen Zivilsachen
  • Energie-Zivilsachen
  • Energie-Verwaltungssachen
  • Kartell-Zivilsachen
  • Kartell-Verwaltungssachen

insgesamt gibt:

Das EnWG enthält in § 102 eine Rechtswegzuweisung für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, welche anfangs für Verwirrung gesorgt hatte:

EnWG § 102 Ausschließliche Zuständigkeit der Landgerichte
(1) Für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, die sich aus diesem Gesetz ergeben, sind ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes die Landgerichte ausschließlich zuständig. Satz 1 gilt auch, wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits ganz oder teilweise von einer Entscheidung abhängt, die nach diesem Gesetz zu treffen ist.
(2) …

Die Formulierung »aus diesem Gesetz ergeben« ist eng auszulegen. Darunter fallen insbesondere

  • Streitigkeiten zwischen Anschlussnehmer und Netzbetreiber um das »Ob« des Netzanschlusses.
  • Streitigkeiten zwischen Netzzugangspetent und Netzbetreiber um das »Ob« von Netzzugang bzw. Netznutzung.
  • Streitigkeiten zwischen Lieferanten, wer berechtigterweise den Zählpunkt für sich nutzen darf. [1]
  • Streitigkeiten zwischen Alt- und Neukonzessionär (Übereignung des Netzes gegen wirtschaftlich angemessene Vergütung, § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG), wobei hier vorrangig (oder jedenfalls auch) Streitigkeit nach dem GWB vorliegt.

Geht es hingegen um das »Wie«, d.h. um Streitigkeiten aus einem Vertrag (Energielieferungsvertrag aber auch aus Netzanschlussvertrag, Anschlussnutzungsverhältnis, Netznutzungsvertrag), dann ist diese Sonderzuständigkeit nicht gegeben und diese richtet sich nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung [2] nach den allgemeinen Vorschriften.

Gerichtliches Mahnverfahren

Zwangsvollstreckung

Durchsetzung von Zutritts- und Zugangsrechten

Der Energie- oder Netzkunde in der Insolvenz

Der Energielieferungsvertrag und der Netznutzungsvertrag als solche werden durch das Insolvenzverfahren nicht berührt, es sei denn, der Insolvenzverwalter lehnt die (weitere) Erfüllung nach § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO ab. Zu den Einzelheiten siehe oben im Abschnitt »Der Sondervertrag in der Insolvenz«

Kennt der Lieferant die Umstände, die auf eine drohende Insolvenz hindeuten, riskiert er eine Anfechtung nach § 133 InsO. [3]

Die Rechtsprechung zur Vorsatzanfechtung ist sehr streng, vgl. hierzu die umfangreiche Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Insolvenz von TelDaFax, durch welche viele Netzbetreiber geschädigt wurden. [4] Hier hatte der Insolvenzverwalter von vielen Netzbetreibern bereits von TelDaFax bezahlte Netzentgelte im Wege der Insolvenzanfechtung zurückgefordet. Teils haben die Gerichte dem stattgegeben, teils auch nicht. Die Überlegungen gelten auch für Lieferanten, weil diesen – wie die Netzbetreiber – regelmäßig auch Indizien für eine Krise des Kunden vorliegen.


[Eingefügt am 22.02.2016]

Seine strenge Rechtsprechung zur Insolvenzanfechtung hat der IX. Zivilsenat des BGH im Dezember 2015 [5] nochmals gefestigt und verschärft: Liegt eine Zahlungseinstellung einmal vor, dann kann sie nur beseitigt werden, indem der Schuldner alle Zahlungen wieder aufnimmt. Dies hat derjenige zu beweisen, der sich darauf beruft. Hat der anfechtende Insolvenzverwalter für einen bestimmten Zeitpunkt den ihm obliegenden Beweis der Zahlungseinstellung des Schuldners geführt, muss der Anfechtungsgegner grundsätzlich beweisen, dass diese Voraussetzung zwischenzeitlich wieder entfallen ist. [6]


Im laufenden Vertrag auf Vorkasse umzustellen, wäre geradezu kontraproduktiv, denn dann dokumentiert man ja gerade, sich eines »greifbaren Ausfallrisikos« voll bewusst zu sein – so jedenfalls das OLG Oldenburg. [7]

Möglicherweise wird diese Rechtslage künftig etwas entschärft:

Die Bundesregierung hat am 29.09.2015 den »Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz« und diesen am 16.10.2015 dem Bundesrat zugeleitet. [8] Es bleibt abzuwarten, ob und wie der Entwurf im Gesetzgebungsverfahren noch verändert wird. [9] Die wesentlichen Änderungen sind nach dem Regierungsentwurf die Folgenden:

  • § 133 Abs. 2 InsO-E: »Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, beträgt der Zeitraum nach Absatz 1 Satz 1 vier Jahre.« Damit wird die Frist für die Vorsatzanfechtung für den »Normalfall« auf vier Jahre verkürzt. Die praktische Bedeutung dürfte eher gering sein.
  • § 133 Abs. 3 Satz 1 InsO-E: »Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, welche dieser in der Art und zu der Zeit beanspruchen konnte, tritt an die Stelle der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nach Absatz 1 Satz 2 die eingetretene.« Für die Vermutung der Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners reicht damit nicht mehr die Kenntnis von der drohenden Zahlungsunfähigkeit, vielmehr muss Kenntnis von der bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit bestehen. Vorbehaltlich erneuter ausweitender Auslegung durch die Gerichte ist die Hürde deutlich höher.
  • § 133 Abs. 3 Satz 2 InsO-E: »Hatte der andere Teil mit dem Schuldner eine Zahlungsvereinbarung getroffen oder diesem in sonstiger Weise eine Zahlungserleichterung gewährt, wird vermutet, dass er zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte.« Hier stellt der Entwurf eine negative Vermutungsregelung dahingehend auf, dass der Abschluss einer Zahlungsvereinbarung nicht dazu führt, dem Gläubiger zu unterstellen, dass er die Zahlungsunfähigkeit kannte. Die Formulierung ist allerdings etwas merkwürdig, denn wörtlich genommen müsste man nur eine Zahlungsvereinbarung abschließen, um die Vermutung der Nichtkenntnis herbeizuführen. Es bleibt abzuwarten, was die Rechtsprechung damit macht. Eine wortgetreue Umsetzung würde ihrerseits zu nicht hinnehmbaren und vom Gesetzgeber ersichtlich auch nicht gewollten Ergebnissen führen.
  • Nach § 142 Abs. 1 InsO-E soll diese Norm, welche das sog. Bargeschäft regelt, folgende Fassung erhalten: »Eine Leistung des Schuldners, für die unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt, ist nur anfechtbar, wenn die Voraussetzungen des § 133 Absatz 1 bis 3 gegeben sind und der andere Teil erkannt hat, dass der Schuldner unlauter handelte.« Damit kommt der Gesetzgeber – beschränkt auf das Bargeschäft – auf den ursprünglichen, von der Rechtsprechung aber ignorierten Kern des § 133 InsO – unlauteres Zusammenwirken von Schuldner und Gläubiger – zurück.
  • § 143 Abs. 1 InsO wird folgende Satz 3 angefügt: »Eine Geldschuld ist nur zu verzinsen, wenn die Voraussetzungen des Schuldnerverzugs oder des § 291 des Bürgerlichen Gesetzbuchs vorliegen; ein darüber hinaus gehender Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen eines erlangten Geldbetrags ist ausgeschlossen.« Damit wird der Anfechtungsgegner besser vor einer übermäßigen Zinsbelastung geschützt werden und zugleich werden Fehlanreize zu einer verzögerten Geltendmachung von begründeten Anfechtungsansprüchen durch den Insolvenzverwalter beseitigt.
  • § 131 Abs. 1 InsO wird um einen zweiten Satz ergänzt: »Eine Rechtshandlung wird nicht allein dadurch zu einer solchen nach Satz 1, dass die Sicherung oder Befriedigung durch Zwangsvollstreckung erwirkt oder zu deren Abwendung bewirkt worden ist.« Bei § 131 InsO geht es um die maximal drei Monate vor Eröffnungsantrag mögliche Anfechtung bei sog. inkongruenter Deckung, [10] welche u.a. dann greifen kann, wenn der Schuldner objektiv zahlungsunfähig war, ohne dass Kenntnis des Gläubigers vorausgesetzt wird. Die Neuregelung beinhaltet, dass der Gläubiger nur noch dann um die Früchte ihrer Anstrengungen gebracht wird, wenn er bei der Vollstreckung Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hatte.

Für die paradigmatischen Fälle der Vorsatzanfechtung wie die Rückgängigmachung von Bankrotthandlungen und unlauteren Vermögensverschiebungen bleibt alles beim Alten. Die ausufernde Auslegung der Rechtsprechung wird für den »Normalfall« leider nur teilweise korrigiert. Insbesondere fehlt nach wie vor die Berücksichtigung der besonderen Situation des vorleistungsverpflichteten [11] und einem Kontrahierungszwang unterliegenden Gläubigers eines Dauerschuldverhältnisses. In der Energiewirtschaft sind sowohl den Netzbetreiber wie den Grundversorger vorleistungs- und kontrahierungspflichtige Gläubiger von Dauerschuldverhältnissen. Den nicht kontrahierungspflichtigen Sondervertragslieferanten trifft ohnehin das volle Risiko. Das Bargeschäft des § 142 InsO hilft in Dauerschuldverhältnissen der Gläubiger oftmals nicht, da es erfordert, dass der Schuldner unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung erhält und es bei verzögerter Zahlung oftmals an der Unmittelbarkeit fehlt. Im Übrigen schloss das Bargeschäft die Vorsatzanfechtung des § 133 Abs. 1 InsO bisher niemals aus, während dies künftig nach dem Entwurf immerhin dann der Fall ist, wenn der Begünstigte nicht erkennt, dass der Schuldner »unlauter« handelt. Ob diese neue Hürde für den Insolvenzverwalter wirklich Auswirkungen haben wird, bleibt abzuwarten.

Der Kunde auf der Flucht – Was tun, wenn der Kunde nicht mehr erreichbar ist?

Gelegentlich kommt es vor, dass Energie- und Wasserkunden – aus welchen Gründen auch immer – untertauchen und für niemanden nicht mehr erreichbar sind. Meist wird das von dem Energie- oder Wasserlieferanten erst zu einem Zeitpunkt bemerkt, zu dem bereits Zahlungsrückstände entstanden sind und es stellt sich die Frage, ob und unter welchen Umständen die Energie- und Wasserzufuhr unterbrochen werden darf. Möglicherweise leben noch andere Personen in der Wohnung des flüchtigen Kunden. Taucht ein Gebäudeeigentümer und Vermieter eines Mehrfamilienhauses unter, würde eine Unterbrechung der Versorgung mit Erdgas, Fernwärme oder Wasser das Haus unbewohnbar machen und unmittelbar die Mieter treffen. Weiterhin stellt sich die Frage gegen wen und in welcher Weise die aufgelaufenen Rückstände geltend gemacht werden können. Der nachstehende Abschnitt behandelt die Frage, welche rechtlichen Möglichkeiten dem Lieferanten in einer solchen Situation zur Verfügung stehen.

Willenserklärungen

Das Hauptproblem besteht darin, dass dem untergetauchten Kunden auf den üblichen Wegen eine empfangsbedürftige Willenserklärung nicht mehr zugehen kann. Eine in Abwesenheit des Empfängers abgegebene Willenserklärung, also insbesondere ein Schreiben oder auch ein Fax oder eine E-Mail, wird erst in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie dem Empfänger zugeht (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Bestimmung des § 130 BGB ist von hoher praktischer Bedeutung und sie wirkt sich auf den alltäglichen Rechtsverkehr aus, weil sie eine empfangsbedürftige Willenserklärung erst dann für wirksam erklärt, wenn sie nicht nur abgegeben wurde, sondern darüber hinaus erst, wenn die dem Empfänger auch zugegangen ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um eine auf einen Vertrag gerichtete (zweiseitige) Willenserklärung handelt oder um eine einseitige wie insbesondere die Kündigung.

§ 130 BGB ist auf rechtsgeschäftsähnliche Handlungen entsprechend anzuwenden. [12] Zu den rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen gehören z.B. die Rechnung und die Mahnung (§ 286 BGB). In ständiger Rechtsprechung geht der Bundesgerichtshof davon aus, dass eine Energierechnung zugehen muss, um eine Rechtswirksamkeit zu entfalten. Dies ist für den Bundesgerichtshof die selbstverständliche und nicht näher ausgeführte Voraussetzung dafür, dass der Kunde Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnungen, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat. [13] Für die Mahnung hat der Bundesgerichtshof den rechtsgeschäftsähnlichen Charakter wie folgt begründet: »Eine Mahnung ist eine Erklärung oder sonstige tatsächliche Handlung, durch die der andere Teil zur Leistung aufgefordert wird. Sie ist keine rechtsgeschäftliche Willenserklärung, weil ihre Rechtsfolge – der Verzug (§§ 284, 285 BGB [14] ) – nicht durch den Willen des Mahnenden, sondern kraft Gesetzes eintritt. […] Allerdings steht die Mahnung den rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen nahe und wird daher zu den rechtsgeschäftsähnlichen Willensäußerungen und Mitteilungen gerechnet, auf die allgemeine Vorschriften über Willenserklärungen entsprechend angewandt werden, insbesondere die Vorschriften über die Geschäftsfähigkeit, die Stellvertretung, die Auslegung und den Zugang.« [15]

Die Mahnung ist wiederum eine der Voraussetzungen für die Unterbrechung der Versorgung nach § 19 Abs. 2 Satz 1 StromGVV/GasGVV bzw. nach § 24 Abs. 2 Satz 1 NAV/NDAV bzw. nach § 33 Abs. 2 Satz 1 AVBWasserV/AVBFernwärmeV. Auch die weiterhin nach diesen Bestimmungen erforderliche »Androhung« der Versorgungsunterbrechung sowie die (weitere) »Ankündigung« nach § 19 Abs. 3 StromGVV/GasGVV bzw. nach § 24 Abs. 3 NAV/NDAV sind rechtsgeschäftsähnliche Handlungen. Die gennannten Vorschriften werden nachfolgend gemeinsam als »Unterbrechungsvorschriften« bezeichnet. Bei Sonderverträgen kommt es darauf an, was in diesen in Bezug auf die Unterbrechung konkret vereinbart wurde, wobei jedenfalls gegenüber Verbrauchern eine Abweichung von den Unterbrechungsvorschriften im Hinblick auf die Leitbildfunktion der Verordnungen Grenzen gesetzt sind, jenseits derer eine Unwirksamkeit der Bestimmung nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB droht. Auch bei den Unterbrechungsvorschriften tritt die Rechtsfolge – Berechtigung zur Unterbrechung der Versorgung – zwar kraft Gesetzes ein, die »Androhung« und bei Strom und Gas zusätzlich die »Ankündigung« sind aber gleichzeitig deren Voraussetzung. Würde man hier auf das Erfordernis des Zugangs verzichten, wären die Bestimmungen sinnlos.

Zugang

Zugang erfordert nach dem Willen des historischen Gesetzgebers des BGB, dass die Willenserklärung in den räumlichen Machtbereich des Empfängers gelangt (»objektive Empfangstheorie«) [16] . Damit wird das Übermittlungsrisiko verteilt: Der Empfänger trägt nur die aus seinem Bereich stammenden Gefahren, während der die Erklärung Abgebende das Transportrisiko übernehmen muss. Zum Machtbereich des Empfängers zählen die von ihm tatsächlich regelmäßig genutzten Örtlichkeiten, wie z.B. seine Wohnung oder seine Geschäftsräume, sowie die von ihm als solche deklarierten Empfangsvorrichtungen, wie z.B. Hausbriefkasten, Postfach, Telefax-Gerät, E-Mail-Account oder ein Telefon-Anrufbeantworter. [17] Entscheidend ist aber nicht die tatsächliche Kenntnisnahme der Willenserklärung durch den Empfänger, sondern der Zeitpunkt der Möglichkeit der Kenntnisnahme. Der Möglichkeit der Kenntnisnahme steht die zeitweilige Abwesenheit des Empfängers nicht entgegen, wenn die Gründe in seiner Person liegen (Urlaub, Krankheit oder sonstige besondere Umstände) und er seiner Obliegenheit nicht nachkommt, die nötigen Vorkehrungen für eine tatsächliche Kenntnisnahme zu treffen. Selbst eine Untersuchungshaft soll der Möglichkeit der Kenntnisnahme nach Auffassung des LAG Schleswig-Holstein [18] nicht entgegenstehen. Dem Zugang einer Arbeitgeberkündigung am 11.10.2012 stehe, so das LAG, nicht entgegen, dass der Kläger haftbedingt nicht vor Ende März 2013 an seinen Briefkasten gelangen konnte. Das gelte, so die allerdings zweifelhafte Auffassung des LAG, selbst dann, wenn der Arbeitgeber von der Haft wusste. Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, sei nach den »gewöhnlichen Verhältnissen« und den »Gepflogenheiten des Verkehrs« zu beurteilen. Dabei sei nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abzustellen, sondern im Interesse der Rechtssicherheit zu generalisieren. Wenn für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, sei es unerheblich, ob und wann er die Erklärung tatsächlich zur Kenntnis genommen habe oder ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände einige Zeit gehindert gewesen sei. In solchen Fällen treffe den Empfänger die Obliegenheit, die nötigen Vorkehrungen für eine tatsächliche Kenntnisnahme zu treffen. Die ohnehin schon sehr weitgehende Auffassung des LAG Schleswig-Holstein kann allerdings sicher nicht mehr auf den abgetauchten und flüchtigen Schuldner übertragen werden.

Weiterhin ist in prozessualer Hinsicht zu beachten, dass im Rahmen des § 130 BGB die Beweislast für den Zugang einer Willenserklärung letztlich davon abhängt, welche Partei aus dem Zugang einer Willenserklärung Rechte herleiten will. [19] In den hier besprochenen Konstellationen ist das regelmäßig der Lieferant. Er ist somit darlegungs- und beweispflichtig für den Zugang selbst und im Übrigen auch für den Zeitpunkt des Zugangs. [20] Der Erklärende kann sich für den Zugang in aller Regel auch nicht auf einen Anscheinsbeweis berufen; denn es kommt regelmäßig vor, dass die aufgegebene Sendung nicht ankommt und verloren geht. [21]

Fällt dem Lieferanten das Problem, wie meistens, erst dadurch auf, dass Rücklastschriften zu verzeichnen sind und kann der Kunde bereits zu diesem Zeitpunkt nicht mehr erreicht werden, so kann er noch nicht einmal in Verzug gesetzt werden, denn Voraussetzung des Verzugs ist grundsätzlich die Mahnung (§ 286 BGB). Auch § 286 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 BGB nach dem der Schuldner einer Entgeltforderung auch dann in Verzug kommt, wenn er nicht innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit und Zugang der Rechnung oder einer »gleichwertigen Zahlungsaufstellung« leistet, hilft nicht weiter, falls schon die Rechnung nicht zugeht. Für einen privaten Verbraucher i.S.d. § 13 BGB gilt die die Erleichterung ohnehin nur, wenn auf diese Folgen in der Rechnung besonders hingewiesen worden ist (§ 286 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 BGB). Auch die weitere Erleichterung des § 286 Abs. 3 Satz 2 BGB hilft nicht weiter, denn diese knüpft daran an, dass der Zeitpunkt des Zugangs der Rechnung unsicher ist. Steht aber fest, dass der Schuldner nicht mehr erreichbar ist, so steht ebenfalls fest, dass der Zugang zu keinem Zeitpunkt erfolgt ist. § 286 Abs. 3 Satz 2 BGB regelt nur den Fall, dass der Zugang erfolgt und nur der genaue Zeitpunkt unsicher ist.

In der beschriebenen Konstellation werden jedenfalls die erforderliche »Androhung« und »Ankündigung« der Versorgungsunterbrechung nach den Unterbrechungsvorschriften dem Kunden nicht mehr auf dem üblichen Weg übermittelt werden können. Das Gleiche gilt für eine (ordentliche oder außerordentliche) Kündigung, welche hier natürlich ebenfalls in Betracht kommen könnte.

Öffentliche Zustellung einer Willenserklärung

Abhilfe kann hier nur durch die öffentliche Zustellung nach § 132 Abs. 2 BGB geschaffen werden. Auch der ansonsten mögliche Weg, nach § 132 Abs. 1 BGB den Zugang durch die Zustellung durch den Gerichtsvollzieher zu ersetzen, ist hier nämlich versperrt. Die Zustellung durch den Gerichtsvollzieher ist ansonsten der wenig bekannte aber gleichwohl sehr zu empfehlende Weg für die Übersendung wichtiger Schriftstücke. Aber auch er setzt voraus, dass der Adressat angetroffen wird (§ 177 ZPO) oder dass eine Ersatzzustellung an einen Familienangehörigen oder Beschäftigten in seiner Wohnung oder in seinen Geschäftsräumen möglich ist (§ 178 ZPO) oder dass ein Briefkasten (§§ 180, 181 ZPO) oder wenigstens eine Wohnungstür oder eine Türe zu einem Geschäftsraums des Adressaten (§ 181 ZPO) vorhanden ist. Beim flüchtigen Kunden ist dies alles nicht gegeben.

Die öffentliche Zustellung setzt voraus, dass sich der Erklärende über die Person desjenigen, welchem gegenüber die Erklärung abzugeben ist, in einer nicht auf Fahrlässigkeit beruhenden Unkenntnis befindet oder dass ihm der Aufenthalt dieser Person unbekannt ist (§ 132 Abs. 2 Satz 1 BGB). Letzteres ist in der hier besprochenen Fallgestaltung der Fall, sodass eine Zustellung nach den für die öffentliche Zustellung geltenden Vorschriften der Zivilprozessordnung grundsätzlich möglich ist. Zur Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung muss der Aufenthalt des Zustelladressaten allgemein unbekannt sein. [22] Ist der Aufenthaltsort des Erklärungsempfängers unbekannt, so besteht zunächst eine Nachforschungspflicht, bevor die öffentliche Zustellung beantragt werden kann. Es genügt nach Auffassung des OLG Düsseldorf [23] im Regelfall nicht, dass der Erklärende und das Einwohnermeldeamt der Aufenthaltsort nicht bekannt ist. Erforderlich ist vielmehr, dass der Erklärende eingehende Ermittlungen nach dem Aufenthalt des Kunden anstellt und ggf. den Nachweis der Erfolglosigkeit dem Gericht unterbreitet. Über die Auskunft der Meldebehörde hinaus kommen als Ermittlungsmaßnahmen insbesondere Nachforschungen beim letzten Vermieter, bei früheren Hausgenossen und bei Verwandten in Betracht. Auch eine Nachfrage bei der Polizei kann unter Umständen weitere Erkenntnisse erbringen. [24] Nach Ansicht des OLG Naumburg [25] reicht es hingegen in der Regel aus, wenn Nachforschungen bei dem zuständigen Einwohnermeldeamt und der zuletzt zuständigen Poststelle ergebnislos verlaufen und Zustellungen mit dem Vermerk »Empfänger unbekannt« zurückgelangt sind. Grundsätzlich sei es nicht erforderlich, dass Nachforschungen über den Aufenthaltsort bei ehemaligen Wohnungsgebern, Nachbarn und Bekannten unternommen werden. Über die genauen Anforderungen sind sich die Obergerichte somit nicht ganz einig. Auch das strengere OLG Düsseldorf weist indessen darauf hin, dass bei dem für geboten gehaltenen Umfang der vorzunehmenden Nachforschungen jeweils der Einzelfall zu beachten sei. Im Rahmen der vorzunehmenden Ermessensausübung sei einerseits das Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers für Justizgewährung und andererseits das Schutzbedürfnis des Antragsgegners, dessen Anhörung nur fingiert werde, gegeneinander abzuwägen. Das Schutzbedürfnis des Antragsgegners, der die Ermittlung seines Aufenthaltes willkürlich erschwert – etwa durch Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Meldevorschriften – sei geringer, als das eines Antragsgegners, dessen Aufenthalt wegen äußerer, nicht zu vertretender Umstände (z.B. Krieg, Aufruhr, politische Verfolgung, Katastrophen) ungewiss sei. [26]

Insgesamt ist somit zu empfehlen, alle vernünftigerweise zur Verfügung stehenden Nachforschungsmöglichkeiten auszuschöpfen und deren Ergebnis sodann dem Gericht durch die Vorlegung von Urkunden (Auskunft des Einwohnermeldeamtes, Bescheinigung der Post) und ggf. durch eidesstattliche Versicherungen der Mitarbeiter (Inhalt von direkten Gesprächen und Telefonaten) glaubhaft zu machen. Zuständig für die Bewilligung der öffentlichen Zustellung ist im Fall des unbekannten Aufenthalts das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Person, welcher zuzustellen ist, den letzten Wohnsitz oder in Ermangelung eines inländischen Wohnsitzes den letzten Aufenthalt hatte, was wiederum durch eine Bescheinigung des Einwohnermeldeamtes glaubhaft zu machen ist. Der Antrag auf gerichtliche Bewilligung wird im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit entschieden. [27] Wird der Bewilligungsantrag zurückgewiesen, ist die Beschwerde nach § 59 FamFG der statthafte Rechtsbehelf. [28]

Somit sind sämtliche empfangsbedürftige Willenserklärungen und rechtsgeschäftsähnliche Handlungen des Lieferanten (Rechnungen, Mahnungen, Kündigungen sowie Unterbrechungsandrohungen und ‑ankündigungen) öffentlich zuzustellen, wenn sie rechtswirksam werden sollen. Eine Unterbrechung ohne Androhung und Ankündigung wäre danach rechtswidrig.

Entbehrlichkeit von »Androhung« und »Ankündigung«

Allerdings stellt sich die Frage, ob dies nach Sinn und Zweck der Unterbrechungsvorschriften tatsächlich auch dann gilt, wenn der Kunde untergetaucht ist. Unterbrechungsandrohung und ‑ankündigung können in diesem Fall ihren Zweck nämlich nicht erfüllen. Nach der Verordnungsbegründung für StromGVV und GasGVV [29] wurde die Frist des § 19 Abs. 2 Satz 1 StromGVV/GasGVV gegenüber der Vorgängervorschrift des § 33 Abs. 2 AVBEltV bzw. AVBGasV im Interesse des Haushaltskunden gegenüber der bisherigen Regelung von zwei auf vier Wochen verlängert. Diese Verlängerung soll nach der Verordnungsbegründung »den Haushaltskunden zeitlich besser in die Lage versetzen, von einer angedrohten Unterbrechung der Stromversorgung Kenntnis zu nehmen und Maßnahmen zu deren Abwendung ergreifen zu können«. [30] Die zusätzliche »Ankündigung« des § 19 Abs. 3 kam erst auf Betreiben des Bundesrats in die Verordnung, welcher dies wie folgt begründete: Der Kunde solle sich auf die Unterbrechung einstellen können »und nicht durch eine überraschende Unterbrechung der Versorgung Schaden, etwa an Gebrauchsgeräten oder durch den plötzlichen Ausfall solcher Geräte« erleiden. [31] Letzteres passt auf den flüchtigen Kunden ohnehin nicht; er betreibt an der Abnahmestelle ersichtlich keine Verbrauchsgeräte. Auch die »Androhung« ist ersichtlich auf den Haushaltskunden zugeschnitten. Haushaltskunde ist nach § 3 Nr. 22 Alt. 1 EnWG nur derjenige ist, welcher die Energie im eigenen Haushalt verbraucht. Mit »Eigenverbrauch« ist der Verbrauch im eigenen Haushalt des Kunden gemeint, nicht z.B. der Haushalt eines Mieters des Kunden. § 3 Nr. 22 Alt. 1 EnWG geht auf Art. 2 Nr. 25 der Richtlinie 2009/73/EG3, zurück, deren englische [32] und französische [33] Fassungen noch etwas deutlicher formuliert sind. Im Hinblick auf die Leitbildfunktion von StromGVV und GasGVV, ist jedoch nicht auszuschließen, dass die Gerichte eine Unterbrechung ohne jegliche Androhung jedenfalls gegenüber Verbrauchern i.S.d. § 13 BGB, welche einen formularmäßigen Sondervertrag abgeschlossen haben, stets nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB als unwirksam ansehen, also auch dann, wenn sie nicht Haushaltskunden sind, was für Vermieter regelmäßig zutrifft. [34]

In der Situation es flüchtigen Kunden erscheint es gleichwohl als unsinnige Förmelei, zu verlangen, dass »Androhung« und »Ankündigung« dem flüchtigen Kunden öffentlich zugestellt werden. Der Zweck von »Androhung« und »Ankündigung« ist in diesem Fall offensichtlich nicht erreichbar. Dies gilt aber nicht für eine Kündigung des Liefervertrages. Eine wirksame Kündigung des Liefervertrages erfordert auf jeden Fall deren Zugang und zwar, wie dargelegt, notfalls im Wege der öffentlichen Zustellung.

Schutz der Bewohner und Mieter

In der besprochenen Konstellation wären eigentlich die ggf. vorhandenen weiteren Bewohner der Wohnung des flüchtigen Kunden und vor allem auch eventuelle Mieter des flüchtigen Kunden schutzbedürftig. Bezüglich ggf. vorhandener weiterer Bewohner der Wohnung des flüchtigen Kunden ließe sich gut begründen, dass mit diesen ein Grundversorgungsvertrag § 2 Abs. 2 StromGVV/GasGVV zustande kommt. Hier erscheint es angeraten zu sein, den verbleibenden Bewohnern seitens des Grundversorgers ein »Begrüßungsschreiben« nach § 2 Abs. 1 Satz 2 StromGVV/GasGVV zukommen zu lassen um wenigstens ab diesem Zeitpunkt wieder einen erreichbaren Vertragspartner zu haben. Ist der Grundversorger nicht Vertragspartner des flüchtigen Kunden wird er sich ohnehin spätestens nach der Abmeldung der Lieferstelle durch den bisherigen Lieferanten Gedanken über die Entnahmestelle machen müssen. Das bedeutet allerdings nicht, dass sich ein Drittlieferant des Problems dadurch entheben kann, dass er trotz eines bestehenden und nicht wirksamen gekündigten Liefervertrages die Lieferstelle einfach abmeldet und das Problem beim Grundversorger ablädt. Eine wirksame Kündigung des Liefervertrages erfordert, wie bereits erwähnt, deren Zugang – notfalls im Wege der öffentlichen Zustellung.

Kritischer ist der Fall, dass der flüchtige Kunde Eigentümer und Vermieter von Wohnungen ist. Rechtlich genießen diese Mieter keinerlei Schutz. Selbstverständlich haben die Mieter gegen ihren Vermieter [35] einen mietrechtlichen Anspruch darauf, dass der Vermieter die Wohnungen beheizt und für die Belieferung mit Wasser sorgt. Es bestehen jedoch keinerlei Ansprüche der Mieter gegen den Lieferanten, wenn der Liefervertrag zwischen Vermieter und Lieferant abgeschlossen wurde, wobei immer die genauen Einzelumstände zu betrachten und die Frage zu beantworten, mit wem der Vertrag besteht, falls kein ausdrücklicher abgeschlossen wurde. Beim vermieteten Einfamilienhaus richtet sich beispielsweise die Realofferte des Grundversorgers typischerweise an den Mieter und nicht an den Vermieter. Empfänger der im Leistungsangebot des Versorgungsunternehmens liegenden Realofferte zum Abschluss eines Versorgungsvertrags ist nämlich derjenige, der die tatsächliche Verfügungsgewalt über die Entnahmestelle ausübt. [36] Bei Mehrfamilienhäusern ist die typischerweise der Vermieter. Ein Blick auf andere Fallkonstellationen zeigt, dass die Rechtsverhältnisse zwischen Vermieter und Mieter einerseits sowie zwischen Lieferant und seinem Vertragspartner andererseits nichts miteinander zu tun haben: Weder darf der Vermieter während des laufenden Mietverhältnisses zur Durchsetzung seiner mietvertraglichen Ansprüche seine Leistung aus der Verpflichtung zur Versorgung mit Wärme, Energie und Wasser zurückhalten [37] noch stellt der Stromlieferungsvertrag zwischen dem Mieter und dem Stromlieferanten einen Vertrag zu Gunsten Dritter oder einen Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte (hier: den Vermieter) dar. [38] Ebenso wenig stellt der Gas- und Wasserlieferungsvertrag zwischen Lieferant und Vermieter einen Vertrag zu Gunsten Dritter oder einen Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte (hier: den Mieter) dar. Nach der zutreffenden Auffassung des LG Frankfurt [39] ist die Zurückbehaltung der Wasserversorgung eines Mehrfamilienmietshauses durch ein Wasserversorgungsunternehmen wegen Zahlungsverzuges des Vermieters und Vertragspartners des Wasserliefervertrages kein Eingriff in den geschützten Besitzbereich der Mieter. Die zur Nutzung eines Grundstücks erforderliche Belieferung mit Strom und Wasser ist in der Tat nicht Bestandteil des Besitzes und kann schon deshalb nicht Gegenstand des Besitzschutzes gem. §§ 858 ff. BGB sein. [40] Ein Lieferanspruch oder Anspruch der Mieter des betroffenen Hauses auf Unterlassen der Liefersperre könne, so das LG Frankfurt weiter, weder mit verbotener Eigenmacht noch mit den Auswirkungen der Sperre auf die Mieter begründet werden. Zutreffend weist das LG Frankfurt darauf hin, dass Mieter auch keine Öllieferung eines privaten Anbieters erzwingen können, wenn es um die Beheizung der Wohnung geht. Das LG Frankfurt geht sogar so weit, es nicht als missbräuchlich anzusehen, wenn sich der Wasserversorger weigert, mit den Mietern Einzelverträge abzuschließen, solange diese nicht bereit sind, die Rückstände zu bezahlen. In der Tat sieht der Verordnungsgeber in § 19 Abs. 2 Satz 2 StromGVV/GasGVV die Aussicht auf eine Nachzahlung als notwendig für Verpflichtung zur Weiterbelieferung an, worauf das AG Neuruppin [41] hinweist. Mietshäuser und die üblichen Mietvertragsgestaltungen seien dem Verordnungsgeber (hier noch des § 33 Abs. 2 AVBEltV/AVBGasV) schließlich bekannt gewesen. Gleichwohl habe er nicht davon abgesehen, die hinreichende Aussicht einer Nachzahlung als weiteres notwendiges Merkmal für die Begründung der Verpflichtung zur Weiterbelieferung vorzusehen. Dem LG Frankfurt und dem AG Neuruppin dürfte allerdings in der Frage der Nachzahlung nicht zu folgen sein. Grundversorger und Wasserversorger unterliegen einem Kontrahierungszwang und dürfen den Vertragsabschluss nicht davon abhängig machen, dass zuvor die Verbindlichkeiten eines Dritten, auch nicht die des flüchtigen Vermieters, beglichen werden. Richtig ist aber, dass die Versorgung ohne Rücksicht auf die Mieter unterbrochen werden darf, wenn die Voraussetzungen hierfür gegenüber dem Vertragspartner, also gegenüber dem Vermieter, gegeben sind – allerdings mit der gebotenen Einschränkung, dass die Unterbrechung wieder aufzuheben ist oder von vornherein zu unterbleiben hat, wenn die Mieter Einzelverträge abschließen.

Bei der Lieferung von Gas und Wasser an Mehrfamilienhäuser ist es allerdings gar nicht möglich, mit jedem Mieter einen Einzelvertrag abzuschließen, da nicht jeder Mieter seinen eigenen Entnahmepunkt hat. Hier könnten die Mieter aber ebenfalls Abhilfe schaffen, wenn sie gesamtschuldnerisch einen Liefervertrag abschließen. Die interne Aufteilung ist dann alleine Sache der Mieter untereinander. Der Lieferant kann sich bei gesamtschuldnerischer Haftung aussuchen, welchen der Mieter er auf Zahlung verklagt, falls diese nicht erfolgt; er kann natürlich auch sämtliche Mieter verklagen.

Es ist auch nicht etwa verfassungsrechtlich geboten, Mieter mit Energie zu versorgen. Die Liefersperre ist nämlich nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts [42] die zur Ausübung des Zurückbehaltungsrechts des § 273 BGB a.F. (jetzt: § 321 BGB) notwendige Maßnahme und stelle keine nach Art. 92 GG ausdrücklich den Richtern vorbehaltene Ausübung rechtsprechender Gewalt dar. Aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) könne zwar folgen, dass der Staat im Einzelfall zu Leistungen an den Bürger verpflichtet ist. Aus ihm könne aber ein Anspruch auf uneingeschränkte Lieferung von Strom nicht hergeleitet werden. Vielmehr seien die entsprechend dem Sozialstaatsprinzip im Bedarfsfalle vom Staat gewährten Leistungen und Hilfen für die Erfüllung der finanziellen Verpflichtungen aus dem Energielieferungsvertrag einzusetzen.

Wie schon dargelegt, ist die öffentliche Zustellung von »Androhung« und »Ankündigung« an den flüchtigen Kunden entbehrlich. Es ist aber nicht entbehrlich, den Mietern gegenüber die Versorgungsunterbrechung anzukündigen. [43] Dies geschieht durch Einwurf einer entsprechenden Bekanntmachung in die Briefkästen und durch Aushang im Hausflur oder notfalls durch Aushang an den Haustüren. Ein Muster für eine solche Bekanntmachung finden Sie hier. Die jeweiligen Fristen der Unterbrechungsvorschriften sind hierbei einzuhalten. Den Mietern muss notwendigerweise offen gelegt werden, dass der Vermieter flüchtig ist (zumal die Mieter dies vermutlich ohnehin bereits wissen) und dass Zahlungsrückstände angelaufen sind, welche zur Versorgungsunterbrechung berechtigen. Nach der hier vertretenen Auffassung ist den Mietern anheimzustellen, einen Energielieferungsvertrag selbst abzuschließen und hierbei die gesamtschuldnerische Haftung sämtlicher Mieter zu übernehmen. Es ist eine taktische Frage, ob sich der Lieferant damit zufrieden gibt, wenn nicht alle Mieter unterschreiben. Die wäre wirtschaftlich für den Lieferanten dann ausreichend, wenn auch nur ein Vertragspartner solvent genug ist, die Gesamtverpflichtung zu erfüllen. Mietern wäre zu raten, den Vertragsabschluss unter die Bedingung zu stellen, dass alle Mieter dem Vertrag zustimmen, weil der Gesamtschuldnerausgleich (§ 426 BGB) nur unter den Gesamtschuldnern stattfindet. Dem Lieferanten kann dies aber gleichgültig sein und er ist auch nicht verpflichtet, über diesen Umstand zu belehren.

Verfolgung der Rückstände

Was die Rückstände des Vermieters betrifft, so können diese, soweit das Versorgungsverhältnis zivilrechtlich ausgestaltet ist, nur im Wege der ordentlichen Zahlungsklage gegen diesen geltend gemacht werden. Das gerichtliche Mahnverfahren ist unstatthaft, wenn die Zustellung des Mahnbescheids durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen müsste (§ 688 Abs. 2 Nr. 3 ZPO). Eine ordentliche Klage kann hingegen nach § 185 Nr. 1 ZPO unter den bereits oben zu § 132 Abs. 2 BGB dargelegten Voraussetzungen öffentlich zugestellt werden. In der öffentlich-rechtlichen Wasserversorgung kann sich hingegen der Wasserversorger (wie immer) nach den öffentlich-rechtlichen Regeln seinen Titel selbst schaffen und die Vollstreckung selbst betreiben.

Da es sich bei einem flüchtigen Vermieter notwendigerweise um einen Grundstückseigentümer handelt, stellt sich die Frage, ob die Eintragung einer Sicherungshypothek (§ 866 ZPO) möglich ist. Hierzu ist jedoch ein mindestens vorläufig vollstreckbarer Titel erforderlich. Sofern ein vorläufig vollstreckbares Urteil vorliegt, kann die Sicherungshypothek sogar ohne Sicherheitsleistung eingetragen werden (§ 720a Abs. 1 Satz 1 lit. b ZPO). Bei Zahlungsansprüchen gibt es keinen einstweiligen Rechtsschutz, denn dieser würde die Hauptsache vorwegnehmen. Es bleibt also dabei, dass eine ordentliche Hauptsacheklage auf Zahlung erhoben werden muss. Beim flüchtigen Kunden sollte besonders darauf geachtet werden, bereits in der Klagschrift den Antrag nach § 331 Abs. 3 ZPO zu stellen und bei Gericht anzuregen, nach § 276 Abs. 1 ZPO das schriftliches Vorverfahren anzuordnen und den Beklagten nach § 276 Abs. 1 ZPO über die Möglichkeit des Erlasses eines Versäumnisurteils nach § 331 Abs. 3 ZPO zu belehren. Meldet sich der Beklagte nach öffentlicher Zustellung der Klagschrift und der Aufforderung des Gerichts nach § 276 Abs. 1 ZPO nicht, so kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung über die Klage entscheiden. Vorausgesetzt, die Klage ist schlüssig, wird es dieser stattgeben. Ist der Schuldner immer noch flüchtig, ist danach sogleich zu beantragen, auch das Urteil öffentlich zuzustellen.

  1. [1]
    Vgl. hierzu Brändle: Abmeldepflicht des Neulieferanten nach § 14 Abs. 2 Nr. 1 StromNZV - Anmerkung zu LG Freiburg, Urteil vom 09.03.2012 - 10 O 17/11 in Versorgungwirtschaft 2012 (Heft 10), 265, VW-DokNr. 12002003.
  2. [2]
    OLG Frankfurt, Beschluss vom 16.12.2010 - 11 AR 3/10, OLG Celle 4. Zivilsenat, Beschlüsse vom 10.3.2010 - 4 AR 17/10 und vom 8.3.2010 - 4 AR 16/10; in der Tendenz auch KG, Beschluss vom 9.10.2009 -2 AR 48/09; OLG München Kartellsenat, Beschluss vom 15.5.2009 - AR (K) 7/09; OLG Frankfurt, Beschlüsse vom 16.4.2008 - 21 AR 14/08 und vom 15.4.2008 - 21 AR 15/08; OLG Köln, Beschluss vom 24.10.2007 - 8 W 80/07; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.12.2010 - VI-W (Kart) 8/10; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 5.7.2011 - 1 AR 38/11 sowie Beschluss vom 14.3.2011 - 1 AR 8/11; OLG Oldenburg, Beschluss vom 3.1.2011 - 5 AR 35/10; OLG Hamm, Beschluss vom 2.1.2012 - I-32 SA 102/11.
  3. [3]
    OLG Karlsruhe, Urteil vom 02.12.2011 – 14 U 166/08 = DokNr. 13002396, Leitsätze und Kurzanmerkung VersorgW 2013, 242 = DokNr. 13002481.
  4. [4]
    OLG Oldenburg, Urteil vom 23.07.2015 - 1 U 94/14 (Insolvenzanfechtung greift durch), vorgehend LG Osnabrück, Urteil vom 14.08.2014 - 4 O 2697/13 (Insolvenzanfechtung greift nicht durch); OLG Hamm, Urteil vom 27.11.2014 - 27 U 58/14 = DokNr. 15003333 (Insolvenzanfechtung greift durch), hierzu Anm. Brändle in VersorgungsWirtschaft 2015 (Heft 7), 210 = DokNr. 15003543, vorgehend LG Hagen, Urteil vom 14.05.2014 - 10 O 516/13 (Insolvenzanfechtung greift nicht durch); LG Gießen, Urteil vom 10.04.2014 - 4 O 347/13 = DokNr. 14002841 (Insolvenzanfechtung greift nicht durch), hierzu Anm. Brändle in VersorgungsWirtschaft 2014 (Heft 10), 271 = DokNr. 14003137, Berufung anhängig beim OLG Frankfurt - 6 U 85/14; OLG Frankfurt, Urteil vom 14.07.2015 - 14 U 154/14 = DokNr. 15001218 (Insolvenzanfechtung greift nicht durch), vorgehend Landgericht Fulda Urteil vom 28.08.2014 - 2 O 701/13 (Insolvenzanfechtung greift nicht durch) Nichtzulassungsbeschwerde ist anhängig beim BGH - IX ZR 152/15.
  5. [5]
    BGH, Urteil vom 17.12.2015 – IX ZR 61/14.
  6. [6]
    BGH, Urteil vom 17.12.2015 – IX ZR 61/14, Rn. 27.
  7. [7]
    OLG Oldenburg, Urteil vom 23.07.2015 – 1 U 94/14.
  8. [8]
    BR-Drs. 495/15.
  9. [9]
    Nach dem »erstes Struckschen Gesetz« kommt kein Gesetz aus dem Parlament so heraus, wie es eingebracht worden ist (ZEIT online www.zeit.de/2007/42/Das_ABC_der_Politik/seite-6).
  10. [10]
    D.h. Sicherung oder Befriedigung, die nicht oder nicht in der Art oder nicht zu dieser Zeit beansprucht werden konnte.
  11. [11]
    An der grundsätzlichen Vorleistungspflicht von Netzbetreiber und Lieferamt (Grundversorger oder Sondervertragslieferant macht hier keinen Unterschied) kann kein ernsthafter Zweifel bestehen, denn eine endgültige Abrechnung des Energiebezugs ist erst nach Messung möglich.
  12. [12]
    Reichold, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 130 BGB Rn. 2.
  13. [13]
    ständige Rechtsprechung, zuletzt BGH, Urteil vom 15.04.2015 – VIII ZR 59/14, Leitsatz m.w.N.
  14. [14]
    nunmehr §§ 286 ff. BGB.
  15. [15]
    BGH, Urteil vom 17.09.1986 – IVb ZR 59/85, juris Rn. 15.
  16. [16]
    Motive, Bd. I, S. 157.
  17. [17]
    Reichold, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 130 BGB Rn. 11.
  18. [18]
    LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 19.03.2014 – 6 Sa 297/13, juris Rn. 21; Nichtzulassungsbeschwerde vom BAG – 7 AZN 340/14 – zurückgewiesen.
  19. [19]
    OLG Saarbrücken, Beschluss vom 24.05.2004 – 5 W 99/04, juris, Rn 13.
  20. [20]
    BGH, Urteil vom 18.01.1978 – IV ZR 204/75, juris Rn. 32 = BGHZ 70, 232.
  21. [21]
    BAG, Urteil vom 14.07.1960 – 2 AZR 173/59, juris Rn. 17.
  22. [22]
    BGH, Urteil vom 19.12.2001 – VIII ZR 282/00, juris Rn. 13 = BGHZ 149, 311.
  23. [23]
    OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.11.1994 – 7 W 63/94, juris Rn: 3.
  24. [24]
    Dazu kann nach den Erfahrungen des Autors auch gehören, dass die Polizei telefonisch freimütig mitteilt, sie und die Staatsanwaltschaft würden auch schon nach dem flüchtigen Kunden suchen.
  25. [25]
    OLG Naumburg, Beschluss vom 16.01.2001 – 12 W 43/00.
  26. [26]
    OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.11.1994 – 7 W 63/94, juris Rn: 3.
  27. [27]
    OLG Köln, Beschluss vom 06.12.2010 – 16 Wx 88/10, juris Rn. 3.
  28. [28]
    OLG Köln, Beschluss vom 06.12.2010 – 16 Wx 88/10, juris Rn. 3.
  29. [29]
    BR-Drs. 306/06 vom 04.05.2006.
  30. [30]
    BR-Drs. 306/06 vom 04.05.2006, S. 39.
  31. [31]
    BR-Drs. 306/1/06 vom 08.09.06, S. 6; die Bestimmung war dort noch als Abs. 2a vorgesehen.
  32. [32]
    ‘household customer’ means a customer purchasing natural gas for his own household consumption.
  33. [33]
    «client résidentiel», un client achetant du gaz naturel pour sa propre consommation domestique.
  34. [34]
    Zur Abgrenzung Haushaltskunde/Nicht-Haushaltskunde bzw. Verbraucher/Unternehmer siehe auch die Anmerkungen des Autors zu BGH, Urteil vom 25.03.2015 – VIII ZR 243/13 in VersorgW 2015, 176 = DokNr. 15003508 und zu BGH, Beschluss vom 16.09.2014 – VIII ZR 116/13 in VersorgW 2015, 179 = DokNr. 15003511.
  35. [35]
    Zum Verhältnis Vermieter – Mieter siehe ausführlich Brändle: Energierecht für Grundeigentümer, Vermieter, Mieter, Verwalter und Bauträger in ZfIR 2015, 94 - 101 (Teil 1); 2015, 134 - 146 (Teil 2); 2015, 193 - 198 (Teil 3).
  36. [36]
    BGH, Urteil vom 22.07.2014 – VIII ZR 313/13 Rn. 14 m.w.N.
  37. [37]
    KG Berlin, Urteil vom 23.10.2014 – 8 U 178/14 = DokNr. 15003294; hierzu Anm. Brändle in VersorgW 2015, 117 = DokNr. 15003444.
  38. [38]
    OLG Jena, Urteil vom 16.04.2014 – 2 U 569/13 = DokNr. 15003014; hierzu Anm. Brändle in VersorgW 2015, 50 = DokNr. 15003378.
  39. [39]
    LG Frankfurt, Urteil vom 15.05.1998 – 2-17 S 465/97, juris = VersorgW 2000, 57.
  40. [40]
    OLG Karlsruhe, Urteil vom 15.05.2014 – 12 U 170/13; Anm. Brändle in ZfIR 2015, 340 (Kurzzusammenfassung = DokNr. 15003288) im Verhältnis zwischen Nachbarn. Ebenso BGH, Urteil vom 06.05.2009 – XII ZR 137/07, Leitsatz 3 und Tz 24 ff im Verhältnis Vermieter – Mieter.
  41. [41]
    AG Neuruppin, Urteil vom 23.06.2000 – 42 C 111/00, juris.
  42. [42]
    BVerfG, Beschluss vom 29.09.1981 – 1 BvR 581/81.
  43. [43]
    so wohl auch LG Frankfurt, Urteil vom 15.05.1998 – 2-17 S 465/97, juris Rn. 10 = VersorgW 2000, 57 und AG Neuruppin, Urteil vom 23.06.2000 – 42 C 111/00, juris Rn. 11.

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